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Anti-Obdachlosen-Architektur

Obdachlosigkeit existiert. Es ist nicht schön mit anzusehen und wenn man zu nah
dran kommt, riecht es auch nicht schön, aber die Personen, die in Obdachlosigkeit
geraten, sind nun einmal da und sie sind immer noch Menschen wie du und ich. Es
gibt eine Vielzahl an Ursachen, um auf der Straße zu landen und neben der am
häufigsten erwähnten, der Drogensucht, gehen andere, wie die Flucht aus
gefährlichen Familienverhältnissen oder die Flucht aus Kriegsgebieten, häufig unter.
Auch wenn es obdachlose Menschen gibt, die freiwillig auf der Straße leben, würde
niemand abstreiten, dass dieser Lebensstil furchtbar schwierig und gefährlich ist.
Hygiene ist nicht gewährleistet, was zu Infektionen führt, welche von
Mangelernährung gefördert werden. Man ist gewalttätigen und sexuellen Übergriffen
schutzlos ausgeliefert und um sich mit dem Nötigsten zu versorgen, wird man selbst
kriminell. Diesem Schicksal sind innerhalb der UN in den letzten 10 Jahren über
70% mehr Menschen verfallen als zuvor. Das sind über 700.000 Personen mehr.
Dass mit diesen Menschen anders umgegangen wird, als mit „zivilisierten“
Menschen, ist bekannt. Wenn sie uns auf der Straße ansprechen, hören sich die
meisten nicht einmal an, was sie zu sagen haben. Für Menschen, denen wir mit 5
Euro einen Tag ohne Hunger schenken könnten, haben wir nichts als ein mitleidiges
Lächeln übrig. Sieht einer zu „schlimm“ aus, schauen wir ganz weg. Als wäre es das
Normalste der Welt, nennen wir sie Junkies, was so viel wie menschlicher Abfall
bedeutet. Niemand hat Freude daran, sie zu sehen und auf unseren Snaps aus der
Innenstadt will man sie wirklich nicht haben, aber sie sind da und sie dürfen da sein.
Das bedeutet nicht, dass sie sich selbst überlassen werden sollten und dass
Obdachlosigkeit normal oder in Ordnung ist. Es bedeutet, dass nicht der Obdachlose
das Problem ist, das es zu beseitigen gilt, sondern Obdachlosigkeit.
Es gibt allerhand Einrichtungen und Programme, die sich dieser Aufgabe hingeben
und jährlich vielen Individuen helfen, wieder auf den rechten Weg zu kommen und
so Obdachlosigkeit effektiv entgegenwirken. Es gibt aber auch allerhand Aktionen,
die unter dem Vorwand, Obdachlosigkeit entgegenwirken zu wollen, nichts anderes
tun, als obdachlosen Menschen zu schaden.
Beispiele solcher Aktionen lassen sich ohne großes Suchen in der Gestaltung des
öffentlichen Raums, öffentlicher Gebäude und öffentlicher Stadtmöbel in Form von,
euphemistisch ausgedrückt, „Defensiver Architektur“ finden.
An „Defensiver Architektur“, anders gesagt Anti-Obdachlosen-Architektur, ist viel
auszusetzen. Ihr Zweck ist, bestimmte Gruppen, wie Skateboardfahrer, aber vor
allem Obdachlose, zu vertreiben, indem der öffentliche Raum für sie unbequem und
unbrauchbar gemacht wird. Wenn zum Beispiel zwischen jeder Sitzgelegenheit eine
Armlehne befestigt ist, die Bänke schräg oder Stacheln auf Fensterbänken und
überdachten Flächen befestigt sind, ist das nicht etwa eine aus ästhetischen
Gründen fragwürdige Gestaltung, sondern eine aus ethischen Gründen verwerfliche.
Um den fleißigen Einkäufern und gerngesehenen Touristen nicht den Anblick zu
versauen, wird Obdachlosen kein Platz in ihrer Mitte geboten. Die schwächsten von
uns werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

Jedes Kind ist sich bewusst, dass Probleme durch Verdrängung und Vertreibung
nicht gelöst werden und die Stadt, die sich gegen herkömmliche Architektur
entscheidet, weiß das auch. Und trotzdem werden die Steuergelder weiterhin gegen
die Menschen, denen sie dienen sollten, eingesetzt.
In Hamburg zum Beispiel, wurden unter der Kersten-Miles-Brücke, die als
Obdachlosenhotspot bekannt war, zuerst Findlinge montiert und dann ein Zaun um
die Fläche gespannt, die somit unbetretbar wurde. Dieser geniale, von Altruismus
getriebene, Plan kostete 100.000€ und da die Hamburger nicht mit ihm
einverstanden waren, wurde er für ein paar weitere Euros wieder rückgängig
gemacht. Aus diesem Fall lassen sich 3 Schlussfolgerungen ziehen. Zum ersten wird
hier unbestreitbar klar, dass mit Anti-Obdachlosen-Architektur in der Tat gegen
obdachlose Menschen und nicht Obdachlosigkeit vorgegangen wird. Kein
Obdachloser wird aufhören, obdachlos zu sein, weil sein Schlafplatz geräumt wurde.
Zweitens haben wir anscheinend genug Geld in der Staatskasse über, um gegen
Obdachlosigkeit vorzugehen, indem Programme und Stiftungen gefördert werden,
die tatsächlich die Wurzel des Problems bekämpfen. Und drittens wird allen vor
Augen geführt, dass Widerstand funktioniert und Gutes bewirken kann. Was wirklich
nötig ist, ist die Verfeinerung der Programme zur Reetablierung in die
Gesellschaft, indem bei Wiederherstellung persönlicher Dokumente, Wohnungs- und
Jobsuche geholfen wird, sowie die Dekriminalisierung und Rehumanisierung von
Obdachlosigkeit vor Gericht und in Augen der Gesellschaft.
Obdachlosigkeit ist kein gottgegebener Umstand, der nun mal den ein oder anderen
trifft und uns, abgesehen von den 5 Sekunden Unwohlsein, wenn wir an Betroffenen
vorbeilaufen, nicht betrifft. Niemand wird mit dem Bedürfnis, auf der Straße zu leben,
geboren und niemand kann garantieren, dass dir nicht durch eine Reihe
schrecklicher Schicksalsschläge das selbe geschieht. Obdachlosigkeit ist ein
institutionelles, strukturelles Problem, das gelöst werden kann und an dessen
Lösung mehr gearbeitet werden sollte.


Aaliyah di Mauro

ACHTUNG: Dies ist eine persönliche Meinung und daher kann nicht immer garantiert werden, dass der Artikel sachlich ist!

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